3. Doktorandentagung der Europäischen Ethnologie, Volkskunde, Empirischen Kulturwissenschaft, Kulturanthropologie

3. Doktorandentagung der Europäischen Ethnologie, Volkskunde, Empirischen Kulturwissenschaft, Kulturanthropologie

Organisatoren
Fachverbund Volkskunde / Europäische Ethnologie / Empirische Kulturwissenschaft / Kulturanthropologie
Ort
Würzburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.05.2008 - 01.06.2008
Url der Konferenzwebsite
Von
Daniel Habit, Volkskunde/Europäische Ethnologie, Ludwig-Maximilians-Universität München

Vom 30. Mai bis 1. Juni fand am Institut für Europäische Ethnologie / Volkskunde in Würzburg die dritte Doktorandentagung des Fachverbundes Volkskunde / Europäische Ethnologie / Empirische Kulturwissenschaft /Kulturanthropologie statt. Nach der Auftaktveranstaltung 2006 in Bonn und der letztjährigen Tagung in München trafen sich diesmal 28 Promovierende aus 16 Universitäten aus dem deutschsprachigen Raum „Am Hubland“, um in den drei Tagen über aktuelle Promotionsvorhaben, strukturelle Schwierigkeiten und Vernetzungsmöglichkeiten zu diskutieren und um in den Genuss einer rundum gelungenen Tagung zu kommen.
In seinen einführenden Worten zeichnete Prof. DAXELMÜLLER ein düsteres (aber leider wohl umso realistischeres) Bild der Situation der Promovierenden im Fach und in den Geistes- und Kulturwissenschaften im Allgemeinen. Die Frage nach einer möglichen Promotion entscheide sich nicht mehr an den intellektuellen Fähigkeiten sondern in zunehmendem Maße an der sozialen Situation. Den inhaltlichen Auftakt des ersten Panels „Körper“ machte KATRIN PETERSEN (Hamburg) mit ihrer Arbeit über „Fahrradfahren als „Körpertechnik“. Technisierung und „Technizität“ des Körpers im Radsport“, in der sie nach diskursiven Körperaushandlungen und der Habitualisierung von Körper- und Technikabläufen des „Hybridwesens Fahrradfahrer“ fragt. Mit dem Fokus auf der Einschreibung und Zuschreibung von Technik und der Interaktion zwischen Technik und Körper spürt sie dem sinnlich-leiblichen Dimensionen des Köpers nach und bezieht ihren eigenen Körper als Experimentierfeld mit in die Beobachtung ein. Dem auch gesellschaftspolitisch hoch relevanten Feld der Gesundheitsversorgung widmete sich der Vortrag von ANJA WESSEL (Bremen: „Gesundheitsversorgung zwischen interkulturellen Anforderungen, psychosozialen Mechanismen und institutionellen Strukturen“). Sie zeigt anhand einer Fallstudie aus einem Krankenhaus die Ökonomisierung im Gesundheitswesen die den Patienten zunehmend als Kunde begreift und damit eine Entemotionalisierung des Pflegeprozesses bewirkt. Die Pflege wird damit zum Balanceakt zwischen Wirtschaftlichkeit und pflegerischem Selbstverständnis und Berufsethos, da emotionale und strukturale Belastungen in der Pflege der eigentlichen Konzentration auf den Patienten diametral entgegenstehen. Den bereits angeklungenen „Sensory turn“ setzte SUSANNE SCHMIDT (München) mit ihrem Ansatz der multisensorischen Dimension von Feldforschung im Museum fort („Sinne in der Wissenschaftskommunikation“) und konzentriert sich auf die explizite Wissensvermittlung über Sinne im Wissenschaftsmuseum. Sie begreift das Museum dabei als Ort der Inkorporierung von Körperwissen und Praxisstrukturen („Doing senses“-Agency) und fragt, welche Anthropologie der Sinne der Gestaltung der Sinne im Museum zugrunde liegt.
Den inhaltlichen Abschluss des ersten Tages bildete die Diskussion über eine mögliche Vertretung der Doktoranden in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde (DGV). In seinen einleitenden Worten skizziert CHRISTIAN MARCHETTI in seiner Funktion als Geschäftsführer der DGV die Möglichkeiten und Chancen einer Doktorandenvertretung, die in einer regen Diskussion im Plenum abgewogen wurden. Zwischen den Argumentationspunkten Selbstverständnis, Bologna III, Abgrenzungen, Vernetzungen und Informationsfluss kristallisierte sich der Wunsch nach der Wahl eines Doktorandenvertreters heraus. Gerade auch vor dem Hintergrund, dass ein Großteil der wissenschaftlichen Arbeit im Fach von Doktoranden getragen wird, erschien dem Plenum diese Entscheidung notwendig und unterstützenswert. Eine Arbeitsgruppe entwirft einen Brief an den Vorstand und den Hauptausschuss mit der Bitte über dieses Anliegen zu entscheiden.
Das samstägliche Panel zu „Gruppen und Kollektiven“ eröffnete REGINE SCHIEL (Münster) die sich dem Themenkomplex „Geschlechterkonstruktion und Geschlechterverhältnisse im Fantasy Rollenspiel“ widmet und sich in ihrer Arbeit mit dem weiten Feld der Rollenspiele und der Konstruktion von Körper- und Geschlechterbildern auseinandersetzt. Dabei liegt ihr Fokus auf dem imaginären Interaktionsraum, in dem sich die teilnehmenden Spieler bewegen und mit ihrem konstruierten Spielcharakter agieren. Vor dem Hintergrund einer historischen Einordnung des Phänomens spürt sie durch Interviews und Rezeptionsanalysen dem „Doing gender“ und der Modifizierung historischer Vorlagen („Weiblicher Ritter“) nach. Ein Praktikum in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg eröffnete MARGUERITE RUMPF (Marburg) ihr Promotionsvorhaben „Häftlingskommunikation. Verständigung in einer Zwangsgemeinschaft im Dritten Reich“. Anhand von Bilder- und Sachkulturanalysen, biographischen Interviews und der Auswertung von Monographien und Erzählungen möchte sie den Kommunikationsstrategien der Häftlinge nachspüren und speziell den Blick auf die Bedeutung und Funktion von Geschenken im Mikrokosmos KZ lenken. RITA NEMETH (Bonn) untersucht in ihrer Arbeit den Einfluss des Bogenschießens auf die Gruppenidentität in Japan und somit den Grad der Modernisierung in einem „traditionellen“ Kontext von „Gruppenidentität und Traditionswahrnehmung am Beispiel des japanischen Bogenschießens“. Sie konstatiert einen Wandel im Selbstverständnis des Bogenschießens und benennt es als gutes Beispiel für den Stellenwert von Bewegungskultur innerhalb der japanischen Gesellschaft, in der Bogenschießen als Schulfach und Massensport praktiziert wird.
Parallel dazu fragte EBERHARD FORNER im Panel „Sprache und Kommunikation“ nach dem Entstehungsprozess volkskundlichen Wissens und dessen Rolle für die Konstituierung für Staat, Region und Landesbewusstsein in Württemberg unter dem Titel „Volkskundliches Wissen: Das Beispiel der ‚Sammlung volkstümlicher Überlieferung'“. Anhand der Analysekategorien „Wissensraum“ und „Wissensmilieu“ werden unter anderem so genannte Konferenzaufsätze ausgewertet, die von Württembergischen Lehrern zu Themen des von Karl Bohnenberger (1863-1951) verfassten Fragebogens erstellt wurden. Als interessanter und auch schwieriger Aspekt stellte sich im Vortrag und der anschließenden Diskussionsrunde die besondere Rolle der die Fragebogenerhebungen durchführenden Lehrer dar. Der Historiker MATTHIAS BÄHR aus Münster stellte seine Arbeit „Tyrannis, Biblizismus, Altes Recht - ‚politische Sprachen' vor dem Reichskammergericht“ vor. Dem Begriff der „politischen Sprachen“ von John Pocock folgend untersucht Bähr anhand von Quellen zu Untertanenprozessen vor dem Reichskammergerichts, wie z.B. Niederschriften von Zeugenverhören, die Adaption und Anwendung verschiedener Sprachstile und -konventionen durch Bauern, die Konflikte mit ihrer Landesherrschaft vor dem Reichskammergericht austrugen. Die Aneignung von Sprachpraxen - etwa nach den Konventionen des römisch-kanonischen Rechts oder in Tradition biblizistischer Vorstellungen - gab den Bauern ein Repertoire von Argumentationsmustern an die Hand, das sie ihren Herren entgegenhalten konnten. Im Plenum wurde ausführlich die Frage diskutiert, ob die von Notaren verfassten Verhörprotokolle als Ego-Dokumente gewertet werden können. Unter dem Arbeitstitel „Geschichten als Kartografie des Nicht-Repräsentierbaren“ sucht HELLE MEISTER aus Hamburg nach Hybridgeschichten. Analog zur Vorstellung von Kartografie als der kleinräumigen Darstellung hochkomplexer Prozesse, werden in Hybridgeschichten komplexe Erfahrungen - etwa aus interkulturellen Kontakten - oder abstrakte gesellschaftliche Phänomene - wie die Globalisierung - narrativ kommuniziert und individuell bewältigt. Wesentliche Elemente solcher Erzählungen sind unter anderem Momente der Bewegung und des Kontaktes, wobei aus methodischer Sicht gerade das Problem der Erhebung solcher Hybridgeschichten zu diskutieren ist.
In einer inszenierten Disputation verteidigte JOCHEN RAMMING (Würzburg) seine Doktorarbeit „Die uniformierte Gesellschaft. Zur Rolle vereinheitlichender Bekleidungswesen am Beginn des 19. Jahrhunderts. Beamtenuniform – Rabbinertalar – Nationalkostüm“ vor dem Plenum. Die zwar gestellte aber von den Beteiligten leidenschaftlich geführte Prüfungssituation vermittelte einen gewinnbringenden Eindruck in die Abläufe und Strukturen einer für alle früher oder später nahenden realen Situation.
Das nachmittägliche Panel mit dem Schwerpunkt „Identität“ eröffnete DAVID BENDER (Bonn) mit seiner Frage nach „Sport, Kunst oder Spiritualität? Eine ethnographische Feldstudie zur Rezeption japanischer Budo-Disziplinen in Deutschland.“ Er begreift dabei das Budo-Training als rituell-spirituelles System das die Praktizierenden mit moralisch-ethischen und spirituell-religiösen Herausforderungen konfrontiert und verortet sein Projekt vor der Hintergrund transkultureller Interaktions- und Vermittlungstechniken. Den gesellschaftlichen Migrationsdiskurs, die administrative Ebene und daraus resultierende Alltagspraxen untersucht KATRIN LEHNERT (Dresden) anhand der Region Oberlausitz in ihrer Arbeit „Migration. Arbeit. Nation. Inklusion und Exklusion Zittauer Arbeitsmigrant/innen im Spannungsfeld von Industrialisierung und Nationalstaatsprinzip“. Dabei fragt sie nach der Produktion von Fremdheit und dem Wissen über Migration vor den Nation-Building-Prozessen des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Die anschließende Diskussion drehte sich um den Stellenwert von regionalen Fallstudien und Ein- und Abgrenzung-Strategien im wissenschaftlichen Selbstverortungsprozess. Auf die Strahlkraft virtueller Heimatwelten konzentriert sich ALEXANDER RIEDMÜLLER (Bamberg) mit seiner Arbeit: „Global Community: www.kythera-familiy.net. Transnationale Migration und Identität. Die Seite bietet eine Plattform für Migranten und deren Nachkommen, die von der südgriechischen Insel Kythera stammen und sich im virtuellen Raum sowohl über ihre zurückgelassene Heimat als auch über ihre neuen Alltagssituationen austauschen. DANIELA STEMMER-KILIAN (Münster) rückt die Jugend in der Nachkriegszeit in den Mittelpunkt ihres Forschungsvorhabens „Generation Neuanfang. Jugend zwischen Kriegsende und Wirtschaftswunder am Beispiel der Region Lippe“. Ausgehend von biographischen Interviews und Quellen der Jahrgänge 1927-1931 analysiert sie anhand der Theoriekonzepte zu Zeitgeschichte, kollektiver Identität und Kommunikationszusammenhang die Struktur einer möglichen jugendlichen „Nachkriegsgeneration“. Individuelle Identitätsaushandlungen untersucht EVA-MARIA AMESKAMP (Münster) anhand einer historischen Studie zu einer bestimmten Berufsgruppe unter dem Titel „Leben, Wohnen und Arbeiten im Pfarrhaus. Katholische Geistliche im Kreis Cloppenburg 1630-1830“. Exekutorialakten und Inventarlisten bilden die Grundlage für ihre Fragen nach Wohnkultur, Arbeitswelt und Distinktionsmerkmalen der Priester im Untersuchungsgebiet und den relevanten Bezugssystemen.
Mit dem Werkstattbericht „Das Bild vom Alter am Beispiel der Seniorenprogramme in deutschen Museen“ eröffnete ESTHER GAJEK (Regensburg) das Abschlusspanel zum Thema Museum über neue Formen und Wege in der Museumspädagogik. Dabei geht es ihr um die kulturellen Konnotierungen und sozialen Aushandlungen des Konzepts „Alter“ innerhalb der Museen und des gesellschaftlichen Wandels von einer defizitären Auffassung hin zu spezifischen Kompetenzzuschreibungen der älteren Besucher. Die Entwicklung „Von der Lehrmittelausstellung zum Schulmuseum“ zeichnete DANIEL OELBAUER (Bamberg) in seinem Beitrag nach. Anhand von 25 Institutionen dokumentierte er das Entstehen der Lehrmittelsammlungen im 19. Jahrhundert über den Wandel hin zu Schulmuseen und den teilweisen Untergang und die Auflösung und Umlagerung der Bestände in andere Museen. Abschlusspunkt des Rahmenprogramms bildete im Anschluss an ein gemeinsames Frühstück eine Stadtführung durch den Fachkollegen Rudolf Held. Neben Einblicken in die Würzburger Stadtgeschichte wurde den Teilnehmern vor allem Methoden und Arbeitsweisen des Vermittlungsformats Stadtführung gewissermaßen auf einer Metaebene erläutert.
Wie bereits die vorangegangenen Treffen in Bonn und München war auch diese Veranstaltung wieder als Arbeitstagung ohne die Teilnahme von Professoren konzipiert. Die Vorträge sollten dementsprechend auch keine Berichte über abgeschlossene Projekte darstellen, sondern vielmehr als eine Art „Werkstattberichte“ Einblicke in laufende Arbeiten geben, um so Schwierigkeiten bei der Materialerhebung, der Analyse oder auch der Verschriftlichung diskutieren zu können. Die Bandbreite der Vorträge spiegelt dabei die verschiedenen Gewichtungen und Strömungen im Fach gut wieder und zeigte einmal mehr die unterschiedlichen Ausrichtungen der einzelnen Institute. Neben dem sehr fruchtbaren inhaltlichen Austausch war es darüber hinaus auch der persönliche Kontakt untereinander, der die Teilnehmer/innen motiviert die Heimreise antreten ließ.

Kurzübersicht:

Eva-Maria Ameskamp (Münster): Leben, Wohnen und Arbeiten im Pfarrhaus. Katholische Geistliche im Kreis Cloppenburg (1630-1830)
Matthias Bähr (Münster): Tyrannis, Biblizismus, Altes Recht. "Politische Sprachen" vor dem Reichskammergericht.
David Bender (Bonn): Sport, Kunst oder Spiritualität? Eine ethnographische Feldstudie zur Rezeption japanischer Budo-Disziplinen in Deutschland.
Eberhard Forner (Tübingen): Volkskunde und Mundartforschung in Württemberg
Esther Gajek (Regensburg): Das Bild vom Alter am Beispiel der Seniorenprogramme in deutschen Museen.
Katrin Lehnert (Dresden): Migration, Fremdheit und Toleranz. Die gesellschaftliche Differenzierung der Zittauer Grenzregion am Ende des 19. Jahrhunderts.
Helle Meister (Hamburg): Geschichten als Kartographie des Nicht-Repräsentierbaren.
Rita Nemeth (Bonn): Gruppenidentität und Traditionswahrnehmung am Beispiel des japanischen Bogenschießens.
Daniel Oelbauer (Starnberg): Von der Lehrmittelausstellung zum Schulmuseum.
Katrin Petersen (Hamburg): Fahrradfahren als "Körpertechnik". Technisierung und "Technizität" des Körpers im Radsport.
Alexander Riedmüller (Bamberg): Global Community: www.kythera-family.net. Transnationale Migration und Identität.
Marguerite Rumpf (Marburg): Häftlingskommunikation. Verständigung in einer Zwangsgemeinschaft im Dritten Reich.
Regine Schiel (Münster): Geschlechterverhältnisse und Geschlechterkonstruktionen im Fantasy-Rollenspiel.
Susanne Schmitt (München): Sinne in der Wissenschaftskommunikation.
Daniela Stemmer-Kilian (Münster): Generation Neuanfang. Jugend zwischen Kriegsende und Wirtschaftswunder am Beispiel der Region Lippe.
Anja Wessel (Bremen): Gesundheitsversorgung zwischen interkulturellen Anforderungen, psychosozialen Mechanismen und institutionellen Strukturen.


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